Die Anreise nach Göttingen
Liebe Eltern! | Göttingen, den 27ten April 1851 |
Gesund, glücklich und wohlbehalten hier angekommen, aber noch immer gefangen, und ich möchte sagen betäubt vom wundersamen Spiele das die letzte Woche in tausendfachen Gestalten und Bildern um mich wogte, will ich den heutigen stillen Tag der Ruhe benützen, mich im Geiste in Euern stillen häuslichen Kreis zu versetzen und Euch zu sagen und zu erzählen, was und wie ich Alles angetroffen habe. Daß dieß Alles hier nicht ausführlich werde geschehen können, werdet Ihr mir wohl glauben. Habe ich doch selbst noch keine Zeit finden können, mir Alles zurecht zu legen, über jeden Eindruck, der auf mich gemacht wurde, Herr zu werden, ja auch nur vom Gewirre, das noch immer einigermaßen meinen Kopf betäubt, mich frei zu machen. Ich werde jetzt nur streben, Euch ein allgemeines umrißartiges Bild meiner Reise zu entwerfen und muß Euch über das Einzelne auf spätere Briefe und die Reisebeschreibung, die ich auszuarbeiten gedenke, verweisen.
Montag Morgens um 6 Uhr fuhren wir mit dem Omnibus, unser Gepäck mitführend, von Basel fort, in Haltingen bei der Eisenbahn gab’s Halt, die Koffer mußten geöffnet werden, wurden aber nicht lange untersucht, sondern zugeschlossen auf die Wagen gebracht und um 8 Uhr giengs mit Feuer und Dampf das schöne Breisgau hinunter. Heiter war der Tag, herrlich und freundlich die Natur und die Gegend blühte und grünte lieblich. Der Rhein bildet hier viele Inseln. Die Leute waren alle festlich geputzt und fröhlich, es war Feiertag. Durch die drei dunkeln Felsenthore bei Istein, theils aus dem Stein gehauen, theils gemauert gieng’s an manchem schönen Dorf vorbei der Stadt Freiburg zu. Die Dörfer sind weit armseliger gebaut als bei uns, die Häuser bestehen hier wie überall in Deutschl. meist aus mit Mauerwerk ausgefüllten Riegelwänden. Bald zeigte sich der Dom von Freiburg mit seinem in die Wolken ragenden Thurm und gleich darauf fuhren wir in den Bahnhof ein, gegen den der Basler nur eine einfältige Barake scheint, diese schönen und großen ganz von Stein ausgeführten Hallen, weiten Räumen und herrlichen Sälen sind was anderes als die in Basel. In der Stadt selbst giebt es schöne Gebäude, das schönste ist der Dom, ein Wunderwerk und Muster ächt gothischer Baukunst. Herrlich ist das Innere der Kirche, und die köstlichen Glasgemälde der Fenster werfen einen wunderbaren rosenrothen Schein an das düstere Helldunkel des Schiffes und auf die grünlich weißen Säulen und Bögen der Kirche. Um so üblern Eindruck macht der Gottesdienst, der die Herzen leer und kalt läßt. Während der Bischof seinen Altardienst verrichtete, die Leute herumliefen oder in den Büchlein blätterten, spazierten wir in der Kirche herum und beschauten uns dieselbe. Wir bestiegen auch in Freiburg den 40 Fuß hohen Thurm wunderbar durchbrochen und in die Lüfte ragend. Nach Besichtigung der Stadt und einem frugalen Essen fuhren wir um 4 Uhr mit dem Bahnzuge weiter. Das Gewoge und Treiben am Bahnhof brachte Einem fast von Sinnen zumal da wir nicht nur für unsere Person sondern auch für unser Gepäck zu sorgen hatten und immer gegenwärtig sein mußten, wenn es aus und eingepackt wurde um Billete dafür zu lösen oder zu geben etc. Possierlich nahmen sich unter der Menge der Leute in der Stadt und hier die Schwarzwälder aus, besonders die Weiber mit ihren hohen orangegelben Strohhüten. Am Schwarzwald vorbei, in der Ferne jenseits des Rheines die Vogesen, gieng’s nun durchs schöne breite Rheinthal, durch gesegnete Fluren weiter hinunter. In jedem Dorfe, jeder Station stiegen wieder neue Mitfahrende ein, es war eben Feiertag. Unterhalb der schön gelegenen Stadt Offenburg konnten wir in dunstiger Ferne deutlich den Straßburger Dom erblicken. Es war schon Nacht, als wir bei der Festung Rastatt vorbeikamen, die Lichter brannten in den Wägen und der Lärm auf allen Seiten berührte unheimlich unsere Ohren, wir waren froh, als wir um 9 Uhr in Karlsruhe ankamen, und uns nun wieder erfrischen und ausruhen konnten. Der Gastwirth mit seiner übertriebenen Höflichkeit und seinen Geberden und Grimassen machte uns vielen Spaß, um so mehr, da ihm seine Possen nicht viel eintrugen. Um 5 Uhr Dienstags spazierten wir in der neuen Hauptstadt, mit ihren langen schnurgeraden breiten und nach dem Mittelpunkt der Stadt, dem Schlosse hinführenden Straßen und schönen Gebäuden herum. Auf dem Schloßhof steht die Statue des Gründers der Stadt und auf dem Markt sein Grabmal. Um 6 Uhr fuhren wir schon wieder ab; wir kamen zuerst durch weite aber fruchtbare Ebenen und Wälder sodann aber durch wunderliebliche Gegenden, mit schön bewachsenen Bergen und Hügeln schönen Feldern, Gärten und Dörfern bis zu der überaus freundlich gelegenen Stadt Heidelberg mit ihrem alten berühmten schönen Schlosse. Auch hier wie in Karlsruhe und Freiburg ist ein sehr schöner Bahnhof. Wir besuchten das in vieler Beziehung sehenswerthe Schloß, zu dessen Gebäulichkeiten wohl die Steine vom ganzen Dorf Zyfen, ich will nichts übertreiben, nicht hinreichen würden. Die Mauern sind z. Th. 10–16 Fuß dick, Ueberreste von einem ziemlich großen Theater, eine noch ziemlich gut erhaltene Kirche, Paläste, Thürmen, Gräben und Wällen, alles dieß faßt es in seinen Räumen. Der Weg dazu führt über große Gewölbe, die in den Berg gemauert sind, Promenaden, Gärten, Wäldchen, Grotten etc. umgeben es. Im dunkeln Keller aber steht das große Heidelberger Faß, ein wahres Ungeheuer 24 Fuß breit und 72 im Durchmesser, zwei hohe Treppen führen darauf, seine Fugen sind beinahe zwei meiner Spannen dick, es ist gebunden mit dicken eichenen und eisernen Reifen, und ruht auf großen ausgeschnittenen Pflöcken. Dasselbe war vor 200 Jahren einmal voll Wein. Ein etwas kleineres Unthier, aber ähnlich, befindet sich im vorderen Keller.
Sehenswerth ist in Heidelberg auch die schöne steinerne Brücke über den Neckar. Am Mittag fuhren wir hier ab, bald gelangten wir in weite fast unübersehbare Ebenen, meistens Hafer-, Korn- und Lewatfelder. Hier sah ich auch zum ersten Mal auf den Feldern Gänse- und Schweineheerden. Der Boden muß leicht zu bearbeiten sein, denn ich sah oft Leute nur mit einem Pferde pflügen; bald zeigte sich die Gebirgskette des Odenwaldes, an dessen Fuß wir hinfuhren. Der höchste Berg ist aber kaum höher als unser Holzenberg. Die Berge überhaupt sind fast bis oben kahl oder zu Äckern benützt. Nach einer 3–4 stündigen Fahrt gelangten wir in die Nähe der großen und schönen freien Reichsstadt Frankfurt, was uns schon die freundliche Gegend und die Gärten, in welchen die Stadt wie im Paradise liegt, anzeigten. Der Weg führte uns über eine prachtvolle hohe steinerne Brücke über den Main mit 16 Bögen, der Bahnhof vor der Stadt besteht aus lauter Palästen, und die Säulen und Pfosten seiner Hallen sind wie geschliffen. Eine Menge von Omnibus und Fiacres (kleine Kutschen) standen bereit die Fremden für einige Kreuzer in die Stadt zu führen. Wir stiegen in einen, um nicht lang in der großen Stadt herumirren zu müssen bevor wir mit unsern Koffern in unsern Gasthof (Hotel Landsberg) gelangten. Nach einem Kaffe besahen wir noch die Stadt. Die Stadt selber kann ihr Alter nicht verleugnen, es giebt hier noch sehr viele enge schmutzige Straßen mit sehr alten baufälligen halb oder ganz hölzernen Gebäuden, die eigentlichen und gangbaren Straßen aber sind gerader, breiter und weit schöner als die in Basel. Prächtige Gebäude und reiche Läden überall. Merkwürdig ist auch das Göthedenkmal auf dem Theaterplatz; auf dem hohen mit trefflichen Basreliefs verzierten Piedestal erhebt sich kühn und gewaltig die wohl 12 Fuß hohe Statue des großen Mannes; er hat den Mantel um sich geschlungen und schaut mit freiem u. tiefem Blick in die Weiten des Himmels, erhaben über das Treiben der Leute unter ihm wie einst über die Geister seiner Zeit.
Wir besuchten auch die in neuster Zeit durch das Frankfurter Parlament od. der Deutschen Bundesversammlung so berühmt gewordene Paulskirche, sie macht auch wirklich mehr den Eindruck eines Rathssaales als einer Kirche. Reich belebt ist hier der Main; große Schiffe wohl 100 Fuß lang u. drüber mit Verdeck und Masten und Segeln befahren ihn in ziemlicher Menge. Vorzüglich merkwürdig ist auch der Friedhof vor der Stadt, der einzige, den sie besitzt, dafür aber ungemein ausgedehnt. Das Mausoleum des Kurfürsten von Hessen das darauf steht, ist ein ziemlich großes eigenthümlich gebautes Gebäude, einer Menge von kleinern Grabmälern nicht zu gedenken. Zu bemerken jedoch ist hier noch die Bethmann-Hollwegsche Familiengruft mit herrlichen Sculpturarbeiten, in cararischem Marmor vom berühmtesten der neuern Bildhauer Thorvaldsen, und die Einrichtung der Todtenkammern. –
Das Senckenbergische Musäum, obgleich nur Privateigenthum, beschämt das Basler weit durch den viel größern Reichthum u. die sorgfältigste Anordnung der Naturgegenstände. Zwei gewaltige Giraffen stehen gleich beim Eingang, das Nashorn u. viele andere Thiere, die in Basel fehlen, finden sich hier. Nicht minder wichtig ist auch das Städelsche Institut mit seinen schönen Gemälden und der Bethmannsche Garten. Den Römer, den alten Krönungssaal der Kaiser zu besuchen, haben wir leider vergessen; es steckte uns zu sehr die Rheinreise im Kopfe, und wir zogen noch am Mittwoch Abend fort nach Mainz, unsern Freund Ecklin den schönen Rhein hinunter eine Strecke weit zu begleiten. Wir kamen hiebei durch die fruchtbare Heimath der berühmten Rheinweine von Hochheim, Laubenheim etc. In Castel, gegenüber von Mainz begrüßten wir den alten Rhein, der hier wohl dreimal so breit ist als in Basel und majestätisch dahinfließt. Als ich über die Schiffbrücke fuhr, dachte ich an Euch in der lieben Heimath und freute mich daran, daß hier im großen Strom doch auch noch ein Wässerlein aus meiner Heimath fließe. Mainz ist eine Festung und hat große Casernen, in welchen preußische, östreichische und bairische Soldaten sich befinden. – Der Dom ist von Häusern so verbaut, daß man nirgends zukommen kann. Zu bemerken sind noch die Mengen, von Wassermühlen auf dem Rhein und die vielen Schiffe und Dampfschiffe, die hier landen. Am Donnstag morgens bestiegen wir ein solches, den Göthe. Herrlich ist die Fahrt den Rhein hinunter an den vielen Inseln und den mit Bergen und Burgen, Städtchen, Gärten und Dörfern reichlich geschmückten Ufern vorbei. Leider war das Wetter etwas neblicht, dennoch aber die Gegend reizend. Bei Bingen wird der Rhein wieder in ein sehr enges Bette gezwängt und gleich vom Ufer an steigen die Berge, die besonders am rechten Ufer auf künstlich erbauten Terrassen bis oben mit Reben bepflanzt sind. Mitten im Rhein steht unter Bingen der alte graue Mäusethurm, ein Werk aus der alten Sagenzeit. Zerfallene Ruinen, Schlösser und Burgen ragen überall hervor und spiegeln ihre grauen Wände und alten Zinnen in den klaren Fluthen des Rheines; besonders interessant ist der Rheinstein, auf hohem vorspringendem zerrissenem Felsen erbaut, ein Eigenthum des Prinzen von Preußen und von ihm in alterthümlicher Weise wiederhergestellt. Es würde zu weit führen, alle die Orte die hier merkwürdig sind, anzugeben, nur erwähne ich noch des hohen Lureleyfelsens mit seinem Echo, das zu manchen Sagen und Mährchen Veranlassung gegeben hat. Lustig ist es, wenn die Dampfer majestätisch vorbeieilen und man sich etwa gegenseitig begrüßt; doch scheinen nicht alle gute Freunde zu sein, indem sie mit einander concurrieren. Einige Stunden oberhalb Coblenz, in Boppard stiegen wir aus, besuchten das Marienbad, speisten zu Mittag und kehrten zurück nach Mainz und Frankfurt, um am folgenden Tage weiter nach unserm Bestimmungsorte hinzureisen.
Am Freitag Morgen nahmen wir also wieder die Eisenbahn, die jedoch nur eine kleine Strecke weit geht; in Butzbach stiegen wir in die Post und nun giengs durch eine der fruchtbarsten und herrlichsten Gegenden Deutschlands, die Wetterau genannt. Wälder, Wiesen, Auen und Felder wechseln schön mit freundlichen Dörfern ab. Die Leute sind von eigenthümlichem, wie es mir schien, heiterm kräftigem Schlag, die Tracht der Weiber erinnerte mich an die Guggisberger. Bald langten wir in der Universitätsstadt Gießen an, und nach einiger Erfrischung stiegen wir wieder in den Dampfwagen und fuhren der unglücklichen hessischen Hauptstadt Cassel zu. Die Stimmung des Volkes muß gedrückt sein. Bei mehreren Stationen befand sich eine große Menge von Bauersleuten aus der Umgegend, die ebenfalls einstiegen – um nach Amerika auszuwandern. Da war ein Lärmen, ein Weinen, Hepen und Lebewohlrufen durcheinander, daß Einem Herz und Ohren weh thaten. Die Sprache des Landvolkes wird für uns hier schon sehr unverständlich, besonders wegen des eigenthümlichen Accentes. Schön liegt die alte Universitätsstadt Marburg, den Fuß eines Berges bekränzend. Das Fahren auf der Eisenbahn ist ganz in der Nähe von Cassel gefährlich, da der Weg nicht gut gebaut und daher unlängst zur Hälfte eingestürzt ist, wir fuhren ganz sachte über diese Stelle. – In Cassel machten wir nicht lange Halt (es war wüstes Regenwetter), sondern stiegen Nachts um 10 Uhr in den Postwagen und fuhren noch dieselbe Nacht unserm Bestimmungsorte Göttingen zu. Viele Freude machte uns der gutmüthige Condukteur von altem Schrot und Korn in seinem rothen Rocke und seinen lustigen Pausbacken. Des Morgens um 4 Uhr kamen wir in Göttingen an, tranken im Gasthause zur Post Kaffe und legten uns schlafen. Am Morgen besuchten uns die Basler-Freunde und erzeigten uns Vieles Gute, indem sie uns einrichten halfen und über dieß und jenes unterrichteten. […]