Hans Heinrich Tanner
Tanner, Hans Heinrich, (1833–1891), von Reigoldswil, Kind armer Eltern. Durch Vermittlung Kettigers konnte er die Kantonsschule Aarau besuchen und ab 1852 in Basel und Göttingen Theologie studieren. 1858 zunächst Pfarrhelfer und Lehrer in Liestal, wurde er 1859 zum Pfarrer von Langenbruck gewählt. Auch dort wirkte er im Interesse der Volksbildung und beherbergte fast ständig junge Leute, die er auf höhere Schulen vorbereitete. Mitglied der Lehrerprüfungskommission und wichtigster Vertrauensmann des Lehrerstands im Kanton; ferner Mitredaktor am ‹Volksblatt für die reformierte Schweiz›. Ab 1883 Rektor der Mädchensekundarschule und des Lehrerinnenseminars der Stadt Bern. Die seit der Studienzeit bestehende Freundschaft zwischen Tanner und Breitenstein äussert sich im Nachruf Tanners zum Tode von Breitenstein.
Lieber Freund,
Mit großem Vergnügen habe ich Dein Paket „Monatsblätter“ empfangen und gesehen, daß die Sache also sich machen wird. Ich will nun auch meinem Versprechen gemäß gerne bereit sein, etwas hie und da zu liefern, vorausgesetzt, daß Du es brauchen kannst. Ich sollte denken, einem solchen Blatte stünden Lebensbilder christl. Frauen recht wohl an. Was meinst Du nun dazu, wenn ich aus diesem Gebiet Dir hie und da etwas übermachte? etwa eine kurze Darstellung des Lebens und Wirkens der Elisabeth Fry oder der Amalie Sieveking? Die Kirchengeschichte würde noch manches Aehnliches darbieten. Wenn Du damit einverstanden wärest, so müßtest Du mir nur eine kleine Weisung über den Umfang einer solchen Arbeit zukommen lassen und allen Deinen Weisungen und Zurechtweisungen verspricht getreulich nachzukommen
Dein Dich und die Deinigen herzl. grüßender
H. Tanner Pfr.
Pfarrer Hans Heinrich Tanner in Langenbruck
Pfarrer Jonas Breitenstein geb. den 22. August 1828 – gest. den 23. Mai 1877 Samstags den 26. Mai, Nachmittags 2 Uhr bewegte sich ein unermeßlicher Menschenzug dem Basler Friedhof zu. Männer aus allen Ständen von Stadt und Land gaben das Geleite einem Manne, den alle hochschätzten, den viele liebten, den keiner haßte, der allzu früh begraben werden mußte. Es ist mir eine heilge Freundespflicht, sein Andenken auch in diesem Blatte zu ehren, u. ich bringe damit nichts Fremdes hinein, es war der Unsrigen einer, der von uns geschieden ist, ein Vermittlungstheolog in des Wortes schönster Bedeutung, als ein Schüler De Wette’s, Schenkels, Hagenbachs, Lückes mit freiem Verständnis der wissenschaftlichen Theologie ausgerüstet u. als ein friedliebender Schüler des friedenstiftenden Christus die evangelische Heilswahrheit der Gemeinde vermittelnd durch warme, lebendige, die ethischen Bedürfnisse allezeit ins Auge fassende Predigt.
Jonas Breitenstein, Sohn des Lehrers Breitenstein in Zyfen, Baselland, der im Anfang dieses Jahres (1877) sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum hat feiern können, studierte in Basel u. Göttingen Theologie. Es war besonders Lücke in Göttingen, der auf ihn bestimmend einwirkte. Der feine Mann mit der Johannesgluth des Herzens und dem dogmatisch freien Kopfe, der geistvolle Freund Schleiermachers mit seinem so gefälligen und einnehmenden Vortrag, der die von Hagenbach empfohlenen Schweizer alle so freundlich aufnahm, er mußte die jungen Gemüther erziehen und er hat diese Anziehungskraft behalten, bis wir ihn an einem kalten Wintertag des Jahres 1855 zu Grabe geleiteten. Nach rühmlich bestandenem Examen in seinem Heimathkanton wurde Breitenstein sofort an die große und schwierige Pfarrei Binningen bei Basel berufen, die er während 18 Jahren mit Treue und Aufopferung besorgt hat. Er war einer der ersten basellandschaftlichen Pfarrer im Amt und er hat seinen Landesgenossen in engern und weiteren Kreisen Bahn gebrochen. Es galt nämlich in den 40er Jahren gar nicht als ausgemacht, – u. als kirchengeschichtliche Singularität möge dieser Zug hier erwähnt werden – daß der liebe Gott in den Dienst seiner Kirche auch Basellandschäftler berufen könne; man meinte noch vielfach und sprach es auch aus, dazu habe er nur Stadtkinder ersehen. Nun Breitenstein bewies mit andern seiner Freunde, daß dem doch nicht ganz so sei und daß der liebe Gott einem Bauern- u. Taunersohn so viele Gaben verleihen könne als einem Herren-Sohn. Sein besonderes Charisma war nun freilich nicht das Herrschen, sondern das Dienen. Seine Bescheidenheit den Menschen gegenüber war so groß, daß wir sie sogar oft kleiner gewünscht hätten. Breitenstein war nicht der Mann der theologischen Diskussionen und Disputationen, obgleich er, wie gesagt, einen tüchtigen Schulsack hatte, geschweige daß er als Parteimann zu brauchen gewesen wäre. Fern von aller dogmatischen Einseitigkeit und Engherzigkeit predigte er das Christenthum Christi auf erbauliche Weise seiner Gemeinde. Viel mehr als die theoretischen Probleme nahmen ihn die praktischen Aufgaben seines Amtes in Beschlag. Unvergessen bleibt, was er in der Armenbesorgung einer großen, flottanten Bevölkerung seiner Gemeinde, was er für den Armenerziehungsverein und die Frauenvereine des Kantons in Wort und Schrift geleistet hat. Auch der Schule erwies er treffliche Dienste. Aus einem Schulmeisterhause abstammend, gehörte er der Schule mit Leib und Seele, wollte er doch früher nach Absolvierung des Gymnasialunterrichts Schullehrer werden und machte er mit Auszeichnung das Lehrerexamen. Sein Latein und Griechisch wäre ihm jedenfalls in der Schule nicht schädlich gewesen. Und auch bei „Schulmeisters Freuden u. Leiden“ hätte es unserm Freunde nicht gefehlt an dem, was seines Pfarrhauses Leiden u. Mühen versüßte, an der Poesie. Die sprudelte von Jugend an aus seinem sinnigen Gemüth heraus. Der Dichter Breitenstein wurde der volksthümlichste Pfarrer unseres Landes. Seine „Bilder aus dem Baselbiet“, sein „Her Ehrli“, „’S Vreneli us der Bluemmatt“ (sein gelungenstes Werk), ein Idyll in der Mundart, sein „Jakob der Glücksschmied“ legen Zeugniß ab von seinem poetischen Schaffen. Es ist hier nicht der Ort, einläßlicher über (seine) diese Schriften zu reden. Sie theilen das Loos vieler und zwar keineswegs geringer poetische Erzeugnisse, daß sie in unsrer schnelllebenden und vielschreibenden Zeit bald vergessen werden. Es kann nicht jeder Dichterpfarrer ein Jeremias Gotthelf sein, dessen Werke weit über das Grab hinaus ihm nachfolgen. Im Jahr 1870 folgte Breitenstein einem Rufe nach Basel als Sekretär der freiwilligen Armenpflege. Wir ließen ihn ungern von uns ziehen, denn er gehörte unserm Dafürhalten nach nicht der Schreibstube, sondern der Kanzel, er gehörte ganz und voll seinem Heimathkanton an. Hier lagen die starken Wurzeln seiner Kraft. Allein die Fürsorge für seine zahlreiche Familie, unsre miserablen Pfarrbesoldungen, die einen vermögenslosen Mann zur Verzweiflung bringen können, mußten ihn dazu bestimmen, in den städtischen Wirkungskreis einzutreten. Und er erwies sich auch hier als der rechte Mann. Er verstand es, mit Kopf u. Herz die Geschäfte zu leiten und in den todten Formalismus Leben zu bringen. Der Religionsunterricht in den obern Klassen des Gymnasiums, Aushülfen in Predigten zu Stadt und Land erhielt ihn im Kontakt mit seinem frühern Amte. An Pfingsten befiel den in seiner Gesundheit besonders seit letztem Winter geschwächten Freund eine heftige Lungenentzündung, welche nach wenig Tagen seinem arbeitvollen, edlen Leben ein zu frühes Ziel steckte. Es ist mir Leid um Dich, mein Bruder Jonathan, ich habe große Freude u. Wonne an Dir gehabt.