Friedrich Lücke

Friedrich Lücke

Lücke, Friedrich, (1791–1855), lutherischer Theologe, Universitätsprofessor und Abt des Klosters Bursfelde bei Münden. 1818 Professor in Bonn, 1827 erhielt er einen Ruf an die Universität Göttingen, wo er Exegese, Dogmatik und Ethik lehrte und als wichtiger Vertreter der Vermittlungstheologie (Verbindung des freien wissenschaftlichen Geistes mit dem eigentümlichen christlichen Glauben) galt. Zu seinen zahlreichen Schülern gehörten Gerhard Uhlhorn, Martin Birmann und Jonas Breitenstein.

Für Jonas Breitensteins Studium und für seine Geisteshaltung war Lücke richtungsweisend und er wurde auch sein Mentor. Breitenstein zog Lücke allen andern Professoren in Göttingen vor. Seine Briefe in die Heimat zeugen von seiner tiefen Verehrung für diesen bedeutenden Göttinger Theologen.

Brief an den Grossvater Jonas Matt3. Juli 1851

(Auszug)

[…]  die Männer der Wissenschaft betrifft, die ich besonders schätze, so ist der alte ehrwürdige Lücke, wenn ich auch nicht sagen darf mein Abgott, so doch von Allen der Mann den ich mit Liebe und Hochachtung nenne und ehre. In seinem Charakter ist er ein kernhafter Deutscher, sittlich ernst und lebensfroh, tief gemüthlich religiös und verständig praktisch, männlich kräftig und doch liebevoll und liebenswürdig. In seiner Richtung so in der Wissenschaft wie im Leben ist er gleich entfernt von aller wissenschaftlichen religiösen und sozialen Schwindelei, wie von der gemeinen Flachheit auf diesen Gebieten, mit scharfem und klarem Verstande verbindet sich bei ihm die belebende Wärme des Gefühls. Er ist ein scharfer Dialektiker, aber kein solcher Dialektiker der mit dem Messer der Kritik alle Fibern und Nerven eines lebenden Organismus zerschneidet und darum am Ende mit seinem todten Gerippe nichts mehr anzufangen weiß, sondern ein Dialektiker, der das Leben und den Organismus ungestört läßt, aber mit scharfem Blicke und mit unermüdlicher Liebe eines Forschers den feinsten Fäden und Verzweigungen desselben nachgeht; um mich klarer auszudrücken: er erforscht die Thatsachen der Religion und des religiösen Lebens, so weit der Mensch mit seinem Forschen dringen kann; aber er hebt mit diesen seinen Forschungen jene nicht auf, noch verkürzt er sie, sondern stellt sie erst in ein helles Licht; er läßt dem Menschlichen sein volles Recht, wo es an seinem Platze steht, aber er verkürzt dadurch nicht die Hoheit des Göttlichen und läßt jenes sich nicht über dieses erheben; beide durchdringen sich in ungestörter Harmonie. Er gehört also, wenn ich recht verständlich reden will, weder zu jenen nervenschwachen Buchstabenorthodoxen und süßlichen Pietisten, die ein Zeter- und Mordiogeschrei erheben, wo sie glauben den Unglauben mit Hörnern und Pferdefuß irgendwo hervorgucken zu sehen, noch viel weniger aber zu denen, die alle Religionen und ihre Thatsachen nur für Schein und Trug erklären oder doch aus ihren eigenen Ideen und Gedanken dieselbe construiren wollen und das positiv Gegebene in der h. Schrift und in der Entwicklungsgeschichte des Christenthums weder würdigen noch auch nur gehörig beachten. – Lücke ist nicht nur ein treuer Freund und ehemaliger College des großen Schleiermacher, sondern auch ein würdiger Vertreter von dessen theologischer und wissenschaftlicher Richtung, in ihm versöhnt sich ebenso wie in jenem Humanismus und Theologie. – Das Colleg, das ich bei ihm höre über die christl. Sittenlehre ist ausgezeichnet. […]

Brief an Wilhelm WackernagelBasel, 24. November 1851

(Auszug)

[…] Daß ich Göttingen oder vielmehr seine Universität zum Behufe der Weiterbildung und Befestigung meines theologischen Studiums mir ausersehen habe, soll mich nie gereuen, und der reiche wissenschaftliche Genuß der mir hier geboten wurde sowie die der ganzen Anlage meines Geistes entsprechende und nach meiner Ueberzeugung vollkommen wahre Richtung der vorzüglichsten hiesigen Vertreter der Theologie, besonders eines Lücke, den ich tief verehre, haben mich bewogen, auch noch das Wintersemester allhier zuzubringen. Nur Weniges sei mir über jene Männer und ihre Richtung Ihnen zu sagen vergönnt. Allen weit voran steht mir Herr Abt Lücke, ein im treuen Dienste der Wissenschaft ergrauter und im steten Kampfe der Entwicklung erprobter Mann, körperlich gebeugt durch die Schläge des Lebens und die Schwächen des Alters, aber noch ein Jüngling an Frische des Geistes und tiefer Innigkeit des Gemüthes, lebenslustig und lebenskräftig, wo es sich handelt um die höchsten Güter der Menschheit und um die lebendige Anerkennung des Herrn, dem er dient; ein ächter Theologe, von altem Schrot und Korn! Seine Richtung in der Theologie ist, um sie kurz zu bezeichnen, eine entschiedene Mitte; nicht jenes unbestimmte Schwanken nach dieser und jener Seite und charakterlose juste milieu so vieler Tageshelden, die es mit Keinem verderben möchten, sondern eine Mitte, die auf fester Ueberzeugung gegründet jedem Extreme entschieden entgegen tritt und sowohl jene unhaltbare steife u. auf den bloßen Buchstaben sich steifende Orthodoxie und einseitige confessionelle Ausschließlichkeit, wie sie den ewig fortschreitenden Gang der Geschichte auf Altes, das den geschichtlichen Prozeß durchgemacht hat, zurückschraubt, bekämpft, als auch jene frivolle Freigeisterei, die im Zerwürfniß mit Gott, der Welt und sich selbst mit stolzer Aufgeblasenheit und Wissensdünkel alles Positive aufzulösen und die Religion ihres realen Inhaltes zu entleeren bemüht ist, ad absurdum führt und das menschliche Erkennen und Wissen in seine von Gott ihm gesetzten Schranken zurückweist. Lückes Vortrag ist einfach und ungeschminkt, aber gediegen. Was er in scharfer dialektischer Entwicklung der Gedanken erörtert hat, das belebt er sofort durch schlagende Beispiele, die er mit feinem Takte aus der Wirklichkeit und dem Flusse des Lebens herausgreift, um sie im Lichte der Wissenschaft dem richtigen Verständniß nahe zu bringen, und er führt somit seine Zuhörer an sicherer Hand nicht nur durch die Gebiete abstrakter Wissenschaft sondern auch auf den Kampfplatz der realen Wirklichkeit. […] – Um es noch nachzuholen, bemerke ich hier, daß ich bei Herrn Lücke Ethik, Dogmatik u. Exegese, in welch letzterer er die Meisterschaft errungen, hörte u. noch höre.

Pfarrer Tanners Nachruf über Jonas Breitenstein2. Juni 1877

Auszug aus Pfarrer Tanners Nachruf über Jonas Breitenstein, vom 2. Juni 1877 im Volksblatt für die reformierte Kirche der Schweiz:

[…] Es war besonders Lücke in Göttingen, der auf ihn bestimmend einwirkte. Der feine Mann mit der Johannesgluth des Herzens und dem dogmatisch freien Kopfe, der geistvolle Freund Schleiermachers mit seinem so gefälligen und einnehmenden Vortrag, der die von Hagenbach empfohlenen Schweizer alle so freundlich aufnahm, er mußte die jungen Gemüther erziehen und er hat diese Anziehungskraft behalten, bis wir ihn an einem kalten Wintertag des Jahres 1855 zu Grabe geleiteten. […]